Frauenseelsorge

Erzdiözese München und Freising

Hirtinnenstäbe (Mitternachtsliturgie)

Engel und Hirtinnen

Lange Nacht im Advent 2018

 

Hirtinnen in der Bibel

In jener Gegend gab es auch Hirten und Hirtinnen, die draußen lebten und über ihre Herde in der Nacht wachten. Da trat ein Engel der Lebendigen zu ihnen und der Feuerglanz der Lebendigen umhüllte sie. Sie aber fürchteten sich sehr. Der Engel sprach zu ihnen: »Fürchtet euch nicht! Denn seht, ich verkünde euch große Freude, die das ganze Volk betreffen wird: Heute ist ein Retter für euch geboren worden, der Gesalbte der Lebendigen, hier in der Stadt Davids. Und dies sei das Erkennungszeichen für euch: Ihr werdet ein Neugeborenes finden, in Windeln gewickelt, in einer Futterkrippe.« Plötzlich erschien zusammen mit dem Engel eine große Schar des himmlischen Chores. Sie priesen Gott mit den Worten:

»Glanz in den Höhen bei Gott! Und Friede auf der Erde bei den Menschen, an denen Gott Freude hat!«

Als die Engel in den Himmeln verschwunden waren, sagten die Hirten und Hirtinnen zueinander: »Kommt, gehen wir bis Betlehem und sehen uns an, was da geschehen ist und was die Lebendige uns hat wissen lassen.«

Diese Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“ erregt manche Gemüter. Kann das sein, dass tatsächlich neben männlichen auch weibliche Hirten zur Krippe kamen? Wir sind an das Bild bärtiger Schafhirten und kleiner Hütejungen gewöhnt. Hirtinnen – gab es die überhaupt in biblischer Zeit?

Ja, es gab sie. Nicht nur, dass bei antiken Völkern Hirtinnen in Mythen vorkommen (z.B. die Hirtin Amaryllis in einem griechischen Mythos), auch in der Bibel finden sich Textstellen, die das belegen. So wird im Buch Genesis erzählt, Jakob habe Rachel an einem Brunnenloch kennengelernt, als sie die Herde ihres Vaters tränkte. Ausdrücklich wird die schöne Tochter Labans in Gen 29,9 als Hirtin bezeichnet.

Bild: Joseph von Führich: Jakob begegnet Rachel mit der Herde ihres Vaters (1836), Kunsthistorisches Museum, Belvedere, Wien

CreativeCommons Lizenz unter: digital.belvedere.at/objects/7895/jakob-begegnet-rahel-bei-den-herden-ihres-vaters

Auch im Buch Exodus begegnen uns Hirtinnen:

Der Priester Midians hatte sieben Töchter. Die kamen, um Wasser zu schöpfen und die Tränkrinnen zu füllen, damit die Schafe und Ziegen ihres Vaters trinken könnten.

Es tauchten aber andere Hirten auf, die stießen die Frauen zurück.

Mose stand auf und half ihnen; er versorgte ihre Herde mit Wasser.

Die Frauen gingen heim zu ihrem Vater Reguël. Der fragte sie: »Wieso seid ihr heute so früh zurück?«

Sie sagten: »Ein Ägypter hat uns vor den Hirten in Schutz genommen; ja, er hat sogar Wasser geschöpft und unsere Tiere getränkt.«

Darauf der Vater zu seinen Töchtern: »Und wo ist er jetzt? Was soll das: Ihr habt den Mann einfach dort stehen lassen? Ruft ihn sofort, er soll etwas zu essen bekommen!«

Zur Hirtenaufgabe gehörte das Tränken der Tiere an Brunnen oder Zisternen. Nicht das Wasser wurde zu den Tieren gebracht, sondern die Tiere zum Wasser. Die Frauen waren also nicht Wasserholerinnen, sondern Hirtinnen, die die Herde zum Brunnenloch führten. Die Hirtinnen waren bisweilen darauf angewiesen, dass kräftige Männer ihnen beim Abdecken der ebenerdigen Brunnen, auf denen meist ein schwerer Stein lag, halfen. Aufgemauerte Brunnen, wie wir sie uns vorstellen, gab es nicht. Durch diese Übersetzung wird deutlich, dass Frauen, die als Hirtinnen für Schafe und Ziegen verantwortlich waren, von „anderen“ Hirten (Vers 17), den männlichen nämlich, oft schlecht behandelt wurden. Mose war Zipporas Vater offensichtlich vor allem deshalb sympathisch, weil er sich den Hirtinnen gegenüber anständig verhielt und sich nicht über sie erhob. Deshalb durfte er Zippora zur Frau nehmen.

Auch das Neue Testament legte den „guten Hirten“ nicht auf einen Mann fest. Das verwendete griechische Wort άνθρωπος (anthropos) heißt in seiner Hauptbedeutung Mensch.

Welcher Mensch von euch, habend hundert Schafe, und von ihnen verlierend eines, lässt nicht zurück die neunundneunzig in der Öde, und geht zu dem verlorenen, bis er es findet?

So ist im Münchener Neuen Testament der Vers Lk 15,4 sehr wörtlich übersetzt. Und schon sind die weiblichen Menschen, welche Hirtenaufgaben erfüllen, eingeschlossen.

In der neuen Einheitsübersetzung von 2016 wird άνθρωπος nicht mehr mit Mann, sondern mit Mensch übersetzt, um die Frauen nicht auszugrenzen.

Früher war das Bild der „guten Hirtin“ selbstverständlich. In der bäuerlichen und romantischen Marienikonographie begegnen wir der Muttergottes als „guter Hirtin“ sogar recht häufig. Auf nebenstehendem Werk ist sie sogar als „göttliche Hirtin“ bezeichnet, was theologisch falsch ist, jedoch eine menschliche Sehnsucht nach der weiblichen Seite Gottes ausdrückt.

 

Miguel Cabrera: Die göttliche Hirtin (um 1760), Los Angeles County Museum of Art, gemeinfrei laut Wikipedia

 

 

Bisweilen zeigt sich eine Heilige als gute Hirtin inmitten ihrer Schafe, deren Begleittier üblicherweise der Drache ist: Margarete von Antiochien.

Tatsächlich gibt es eine Legendenversion, in der sie als Hirtin beschrieben ist, was zeigt dass die frühe Christenheit Hirtenaufgaben durchaus als Frauenaufgaben kannte.

Auf dem Hintergrund dieser Tatsachen erscheint es längst überfällig, über „Hirtinnenaufgaben“ im pastoralen Dienst neu nachzudenken.

Selbst das „Hirtinnenamt“ dürfte kein Tabuthema sein.

„Gute Hirtinnen“ braucht die Kirche vielleicht mehr denn je.

 

 

 

Hinterglasbild: Die gute Hirtin (2. Hälfte des 18. Jahrhundert, Murnau), Diözesanmuseum Freising, gemeinfrei laut Wikipedia unter Verweis auf www.hvg-dgg.de/museen/dioezesanmuseum-freising.html

 

 

 

Informationen, Bildmaterial und Zusammenstellung: Irmgard Huber, M.A., Erzbischöfliches Ordinariat, FB Frauenseelsorge, 12/2018

 

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